HOME  |  Kultur und Geschichte  |  Hammer - St. Petersburg, eine historisch interessante Beziehung

Unser Mitglied Dr. Jochen Häusler hat in akribischer Detailarbeit einen lesenswerten Artikel über die Verbindung von Hammer - Familie von Forster - mit St. Petersburg erarbeitet, den wir Ihnen im Folgenden gern vorstellen wollen.

Hammer – St.Petersburg – Heddernheim - ein ungewöhnlicher Know-How-Transfer

1. Einleitung

Familienarchive mit Fotos, Briefen und Urkunden bergen Schätze, deren

Hebung die Geschichtswissenschaften um manche Erkenntnis reicher machen können.

Ein Beispiel sind die Briefe des Hermann von Forster, die der am

27.7.1875 in Hammer geborene 1900/01 seinen “Lieben“ aus St. Petersburg schrieb. Die erhaltenen Briefe, die Hermanns Tochter Frau Luise Schradin, geb. von Forster, dankenswerter Weise zur Auswertung zur Verfügung stellte, offenbaren, dass es auch über die in Hammer seit dem 16. Jahrhundert betriebene Buntmetallurgie eine sehr originelle Beziehung Nürnbergs zu St. Petersburg gab.

Nachdem NN schon von solchen Verbindungen in der Dieseltechnik (Berthold Bing), in der Kunstschmiedetechnik (Karl Winkler), im Maschinenbau (Otto Krell) berichtet hat und andere Beziehungen zum Allgemeingut der Nürnberger Heimatkunde gehören (Lothar Faber, Sigmund Schuckert, Johann Hohmann), sollen hier von Forsters Briefe analysiert werden.

2. Hammer – St. Petersburg

Eine der ältesten Einrichtungen der Buntmetallbranche in Nürnberg ist das alte Hammerwerk an der Pegnitz im 1938 eingemeindeten Stadtteil Laufamholz, dem dieser Artikel zu seinem 750jährigen Jubiläum gewidmet sei. Auf diesem Areal, das heute als Denkmal der Industriekultur gewürdigt wird, wurden Jahrhunderte lang bis zur Zerbombung 1943 nach sich wandelnden Technologien im Schwerpunkt Messingbleche und verwandte Artikel hergestellt.

1814 ging das Werk in den alleinigen Besitz der Familie Forster über, die 1816 geadelt wurde und über sieben Generationen hinweg die Produktion auf dem Laufenden hielt. In der Zeit, von der hier berichtet wird, nannte sich die Firma aus historischen Gründen noch “H. P. Volkamer’s Wb & Forster“. Ein großer Modernisierungsschub erfolgte 1871, als Hans Karl von Forster die großen Wasserräder stilllegte und zur Energiebeschaffung Turbinen einsetzte, die auch ins Stromnetz speisen. Hans Karl von Forster hatte am Nürnberger Polytechnikum, an der ETH Zürich und am Karlsruher Polytechnikum studiert, wo er Kommilitone und Zimmernachbar von Karl Winkler war.

Sein Sohn Hermann von Forster hat auch das Maschinenbaufach ergriffen, ist aber vermutlich ohne Abschluss in die ihn faszinierende Praxis gegangen, wie noch vorzustellende Passagen aus einem Brief vermuten lassen.

Dem ersten Brief nach taucht er im Sommer 1900 bei der renommierten

Firma „Franco-Russki-Zavod (Usines Franco-Russes)“ in St. Petersburg auf, die 1792 von dem Engländer Baird gegründet wurde und das erste, private Messing- und Maschinenwerk St. Petersburg war. Hermann von Forster schreibt im Juli nach Hammer: „… Das Geschäft zerfällt in 2 Teile, die Messingfabrik mit circa 400 Arbeitern und die Maschinenfabrik mit über 2000.

Die neue Presserei ist in Ordnung und befinde ich mich sehr wohl auf meinem Bureau. Ich bin sehr frei. Sagen, was ich will, könnte ich meist so mit knapper Not, aber die Leute mit ihrer raschen Sprache verstehen, ist eine vermaledeite Sache. Wir fabrizieren in erster Linie Patronenbleche für d. Militärverwaltung, dann Neusilberbleche für d. Kugelmäntel und schließlich sehr viel Rohre für den Handel in fast allen Dimensionen. Bleche für den Handel in verschiedenen Legierungen, Drähte, Stangen, Kupferblech und Drähte in weniger großen Qualitäten. Die Fabrik ist zum Teil brillant eingerichtet, zum Teil uralt u. soll der veraltete Teil jetzt vollständig auf d. Höhe d. Zeit gebracht werden….“

Bei dieser Modernisierung wird er augenscheinlich nicht nur eingesetzt, sondern die Direktoren und sein unmittelbarer, junger Chef, der Leiter des Messingwerkes Herr Vologdin, suchen seinen Rat und fragen, wie es in Deutschland ist. Seinen Schilderungen deutscher Verhältnisse verdankt das Werk offensichtlich die Freigabe größerer Investitionen z.B. für ein metallografisches Labor. Aus einer Probezeit wird eine Anstellung, zu der Hermann von Forster am 1.10. 1900 schreibt:

Meine Lieben!

„ Die Würfel sind gefallen“, d.h. der Junge bleibt man nun für einige Zeit Russe….. Im Geschäft geht’s so weit, ich habe jetzt einen Techniker und einen Zeichner und bringt man dann schon etwas vorwärts; eine Reparaturwerkstätte von circa 25 Mann Schlossern und Drehern will aber auch beschäftigt sein. Doch freut mich das viel, da unsere wunderschöne, erst 1Jahr alte Werkstätte mit den schönsten und modernsten Drehbänken, Fräsmaschinen, Bohrmaschinen u.s.w. ausgestattet ist….“.

Aber im Januar 1901 wird die Lage plötzlich zweifach kompliziert, denn Hermann von Forsters Chef Vologdin plant eine Westeuropa-Reise mit Station in Nürnberg und äußert den Wunsch, das Werk der von Forsters in Hammer zu besichtigen und aus Dankbarkeit für die freundliche Aufnahme bei den Vologdins muß Hermann natürlich auch einen Besuch bei seinen Eltern anbieten. Doch sein Vater ist begeisterter Reserve-Kürassier, er hat auf die Privilegien seines Standes verzichtet und sich nicht vom Wehrdienst freigekauft und ist stolz auf sein Mitwirken 1870/71 gegen Frankreich. Hermanns Firma ist aber in französischer Hand und produziert Patronenbleche für den Zaren!:
„Nur weiß ich nicht, wie man es mit Vaters früherem Militär macht. Entweder sage ich hier, wie die Sache ist oder Ihr müsstet Eure Rolle spielen. Ich habe nie eine Unwahrheit gesagt, nur nicht alles, was ist.“ sucht Hermann bei den Eltern Rat und fährt gleich mit dem nächsten Problem fort: „ Mein Chef möchte hauptsächlich auch Fabriken sehen u. bat mich daher bei Volk. & Forster anzufragen. Ich sagte schon, dass Ihr prinzipiell niemand in d. Fabrik lasst und dass ich nicht glaube, dass ich Erfolg mit d. Anfrage habe, z.B. ich wollte, dass wir unsere chem. Analysen selbst machen, daher sage ich, dass gute deutsche Fabriken das selbst machen u. dass ich das einrichten möchte. Ich richte Laboratorium ein, analysiere, habe die feinsten Resultate, auf 1000tel gr genaue Resultate, sie denken natürlich, dass ich das in Deutschland d.h. auf dem Hammer schon x-mal gemacht.

Wenn ich sage, ich habe nie eine Analyse gemacht und bei uns hat man’s auch nicht gemacht, bekomme ich natürlich das Geld nicht bewilligt. Ich that natürlich nicht im Geringsten erstaunt über die Mengen, die wir hier umsetzen, z.B. wenn bei Herrn Direct. Gladin auf dem Pult ein Wechsel auf 100.000 M Kupfer liegt. “ Franco-Russki-Zavod war eben 10 mal größer als Hammer

David hatte sich erkühnt, Goliath die richtigen Ratschläge zu geben!

Die Briefe lassen offen, ob es zu dem Besuch kam, aber der Reisende Ingenieur Vologdin hat von den Anregungen Hermann von Forsters in jedem Falle profitiert. Gerade auf dem Gebiet, auf dem ihm Hermann die modernste Analysentechnik verschafft hat, wurde er der Begründer der russischen Metallografie. Sein gleichnamiges Buch wurde nicht nur dort ein Standardwerk, sondern in mehrere Sprachen übersetzt. Herr Vologdin wurde in Perm Professor für Technische Chemie am Polytechnischen Don-Institut und veröffentlichte mehr als 50 wissenschaftliche Arbeiten über die Eigenschaften von Metallen und feuerfesten Materialien.

3. St.Petersburg – Heddernheim

Auf ein erfülltes Lebenswerk konnte auch Hermann von Forster zurückblicken. Er wirkte fast 50 Jahre lang in leitender Position zunächst im Heddernheimer Kupferwerk und in dem sich daraus entwickelnden Konzern der Süddeutschen Kabelwerke. Den Einstieg dazu verschaffte er sich aber in St. Petersburg, wie er in einem undatierten Brief an seinen Vater schreibt:

Lieber Papa!

In Eile vielen Dank für Eure lieben Briefe. Ich möchte Dich um Deine Einwilligung bzw. Ansicht bitten.

Die Heddernheimer Kupferwerke, die die letzten Jahre schlecht abgeschnitten haben (800.000 M Verlust), beabsichtigen Neubau und Reorganisation des Werkes. Herabsetzung des Aktienkapitals von 6 auf 4 Millionen und 1 ½ Millionen neue Aktien für Neubauten. Ich habe in meiner freien Zeit eine kleine Schrift über „ Organisation von Fabrikbetrieben“ für meinen Direkt. Radloff geschrieben.

Als ich anfing, die Fragen mit Heddernheim zu ventilieren, schickt ich sie nach dort ein und teilten mir die Herren jetzt daraufhin mit, dass sie trotz meiner Jugend bereit seien, mich als Betriebsleiter und Vertreter ihres 1. Technischen Direktors Herrn Herbert Hesse zu engagieren [Bedingungen stellte ich wie folgt: 5.000 M Jahresgehalt, eine jährliche Gratifikation je nach meinen Leistungen].

Ich müsste mich aber zunächst auf ein Jahr verpflichten, weiter vierteljährliche Kündigung.

Der Wiederbeginn des Studiums schiebt sich allerdings wieder um 1 Jahr hinaus, dagegen sind für meine kurze Thätigkeit in der Praxis die [finanziellen] Bedingungen günstig u. der Posten wird jedenfalls sehr interessant, sodass ich glaube, in dem Jahr vielleicht ebenso viel zu lernen als auf der Schule.

Entschuldige das Geschmiere.

Herzliche Grüße an alle. Dein dankbarer Sohn Hermann

St. Petersburg hat Hermann von Forster intensiv erlebt mit seinen Reizen und Problemen, wie seine Briefe zeigen. Insbesondere berichtet er immer wieder von den „lieben Winklers“, der Familie des Freundes seines Vaters. Aber auch in der Freizeit blieb Konzentration auf das berufliche Thema. Das in St. Petersburg gesammelte und für den Direktor Radloff der Franco-Russki-Zavod zu Papier gebrachte Know-how in der Organisation von Fabrikbetrieben wurde zum Empfehlungsschreiben für die Rückkehr nach Deutschland. Die Erfolgsgeschichte des Heddernheimer Kupferwerkes wurde maßgeblich durch die Übernahme der Fabrikationsleitung durch den jungen Technischen Direktor Hermann von Forster aus Hammer vorangetrieben und spricht für sich und ihn!

Hoffen wir, dass ähnlich mutige junge Männer und Frauen nachwachsen und dass IHK, Metropolregion und Stadt sie auf solchen Wegen unterstützen.

von Jochen Haeusler